Staub, Pixel und Schweiß
Gespräch Florian Aicher mit Axel Kufus
aus ‚Eigen-Sinnig‘
03.01.05, Berlin
Florian Aicher: Das Regalsystem fnp ist seit 15 Jahren auf dem Markt und man könnte sagen: ein Klassiker des jüngeren deutschen Design. Der Entwurf kommt aus Ihrem Studio, mit dem Sie den Aktionsradius Einrichtungen, Möbel, Haushaltsgeräte umspannen, ergänzt durch Lehrtätigkeit, ab 1993 mit einer Professur an der Bauhaus-Universität Weimar und seit einem Jahr an der Universität der Künste Berlin. Doch am Anfang stand die Schreinerei – ein langer Weg.
Axel Kufus: Zuerst habe ich mich nach dem Abitur in eine Schreinerei gestürzt – nachdem ein Zimmerer mich nach Augenscheinnahme meiner leptosomen Konstitution heimgeschickt hatte. So bin ich zu einem sehr guten Schreiner gekommen, der mich in alle Tricks Dimensionen der Holzverarbeitung eingeführt hatte, vom Dachstuhl über Möbelbau bis zum Drechseln.
Aicher: Aus heutiger Sicht eine außergewöhnliche Bandbreite …
Kufus: Genau. In seinem Metier war er ein Alleskönner, was nicht nur in dieser Hinsicht prägt. Es folgte die Walz, die mich in die Rhön – damals noch Zonenrandgebiet – zu Holzbildhauern und Bronzegießern führte. Ich traf einen weiteren großen Lehrer, Richard Mühlemaier, Bildgießer, Kirchenmaler, Schnitzer, ein Schüler von Dahmen. Der hatte dort eine kleine Gießerei aufgebaut und lehrte mich nicht nur das Bronzegießen. Es folgte eine Meisterschule für Tischler in Bad Wildungen, die mir zeigte, wie enttäuschend es sein kann, sich in üblichen Standards zu erschöpfen. Eine Phase freischaffender Tätigkeit mit meiner Gefährtin Ulrike Holthöfer, einer Bildhauerin, schloss sich an. Wichtigster Aspekt war, dass es da sehr spontan zuging – unsere Objekte entstanden meist aus Fundstücken. Über diese Arbeiten kam es zu Kontakten zur Designszene – wir hatten unsere Arbeiten zur Ausstellung „Wohnen von Sinnen“ eingereicht und alle wurden ausgestellt. So waren wir – noch ganz grün hinter den Ohren – mit einem Mal mit bekannten Designern auf gleicher Plattform.
Aicher: Als Teilnehmer ist mir die Wirkung dieser Ausstellung noch in lebhafter Erinnerung – eine Provokation: was bisher als Design galt, war erschüttert. Private Symbole, Verarbeitung von Gefundenem, Eigenbau, rauh und ungestüm, bestimmten das Bild.
Kufus: Mit einem Mal waren wir mit einem Markt für unsere sehr spontanen Improvisationen konfrontiert, Nachbauten wurden angefragt, was eigentlich gar nicht ging, weil es Ad-hoc-Entwürfe waren, im Grunde dazu da, mich von der Disziplin des Handwerks zu befreien, von der ich damals glaubte, ihre Grenzen seien viel zu eng gesteckt. Diese Grenzen zu überschreiten: darum ging es in diesem Zyklus.
Dann begann ich in Berlin Design zu studieren, doch was ich an der Hochschule vorfand, stimmte nicht mit meiner Arbeitshaltung und der Intensität meines Suchens überein. Aber ich hatte das Glück, außerhalb der Hochschule mit anderen – A. Brandolini gehörte dazu – eine Kooperative mit eigener Werkstatt aufzubauen. Dort konnte ich die Verbindung meiner Erfahrung aus dem Handwerk und der freien Arbeit weitertreiben. Entwicklung und Produktion, Werkstatt und Labor wurden eins, die Erlöse aus der Produktion finanzierten die Experimente, die wirkten in die Produktion zurück, sehr gewagt und experimentell – und doch ein Ideal für einen möglichen Handwerksbetrieb.
Aicher: Lässt sich der Unterschied zu einem gewöhnlichen Handwerksbetrieb präzisieren?
Kufus: Das Konzept war: Nicht auf Aufträge warten, sondern mit Entwicklung starten, in Realisierung – also in Vorleistung – gehen, einen Markt erzeugen. Ressource war die Werkstätte und deren aufgefächerten Möglichkeiten, aber auch das Prinzip: temporäre Spezialisierung in der Arbeit an einem Projekt, dann wieder zurück ins Universelle.
Als frisch gegründete Kooperative hatten wir unsere Energie und Phantasie, aber keinen großen Maschinenpark und so mussten wir durch wenige und ausgeklügelte Arbeitsschritte einerseits und die Verwendung von Halbzeugen andererseits den Rohstoff veredeln – Halbzeuge, Fundstücke, das ist der Rohstoff der Großstadt.
Aicher: Bedeutet Veredelung durch wohlbedachten Einsatz des Faktors Arbeit auch: Arbeit im künstlerischen Sinn? Denn der Witz bestand ja darin, die Dinge neu zusammenzustellen, wozu es Imagination und Phantasie braucht.
Kufus: Ja, und die Konzentration ging bald dahin, sehr genau zu überlegen: was ist Serie? Der steht ja die romantische Vorstellung vom Handwerker gegenüber, der immer etwas Neues macht, nie reine Routine, keine serielle Bandarbeit wie in der Industrie, sondern: im schönsten Sinn Manufaktur, an allen Prozessen beteiligt und damit identifiziert. Wie macht man es nun, wenn man eine Serie fertigt – 50, 100 Stück – ist das dann noch Handwerk? Da ging es uns darum, diese Prozesse so schön und interessant zu gestalten, indem wir versuchten, wieder in einen Rhythmus des Arbeitens hineinzukommen. Also beispielsweise bei der Fertigung des Regalsystems: Rhythmen einführen, alle zwei Monate werden die Regale produziert, mehr gibt‘s nicht, da ist die ganze Crew dabei, eine Art Sport, die Werkstatt wird umgeräumt, optimiert, spezialisiert für diesen Prozess, der läuft wie ein Projekt, dazu gehören natürlich die geschickte Planung des Materialflusses, die Abstimmung der Arbeitsschritte, die ausgeklügelten Vorrichtungen etc. Aber dann schnell wieder zurück..
Aicher: Sie haben handwerkliches und künstlerisches Arbeiten erlebt. Sind sich aus heutiger Sicht die handwerkliche Begrenzung und das freie Schaffen der Kunst ein Gegensatz?
Kufus: Der muß nicht sein, aber ich glaube, die meisten Handwerksbetriebe vernachlässigen oder missachten dieses schöpferische Potenzial: zu Entwickeln und Forschen. Dieses Potenzial, Neues, Unerwartetes hervorzubringen – es ist ja möglich. Aber investiert wird meistens in Rationalisierung, in Maschinen, die etwas schneller machen – die Standards bleiben unangetastet, es wird lediglich rationeller erzeugt. Qualität, Prozessqualität wie Objektqualität, gerät aus dem Blick. Aber Forschung und Entwicklung sind unverzichtbar.
Ein Kopfbewegung macht die Werkstatt zum Labor.
Aicher: Das findet im Werkraum ganz unakademisch statt. Das geschieht, wenn einer recherchiert, wo er Material in welcher Qualität zu welchem Preis auf welchem Weg am günstigsten bekommt; wenn er zusammen mit Kunden oder Gestalter in einem langen Prozess die Form eines Objektes herausfindet; wenn das Gespräch und die Kooperation, etwa mit anderen Gestaltern, gesucht und das Ergebnis obendrein der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt wird.
Kufus: Richtig! Dass einer auf einsamer Scholle, umgeben von seinem Maschinenpark, Aufträge entgegennimmt, wird die Ausnahme sein. Und wenn Qualität und Verantwortung, Meisterschaft und ganzheitliches Ausführen unabdingbar sind, so doch auch immer wieder: das Einlassen auf Ungewohntes, Nichtvorhergesehenes, auf Neuland. Wichtig dabei ist auch das Knüpfen eines professionellen Netzes und sich selbst als Teil eines solchen Netzes zu betätigen. Das wird in Zukunft zunehmend gefordert.
Aicher: Ein Netz als Mittel, seine Fühler auszuspannen und sich selbst zu entwickeln: Der Austausch der Mitglieder im Werkraum untereinander und der bewußt gesuchte Kontakt zu Externen haben das bewirkt.
Kufus: Die eigene Handschrift, die eigene Identität – die steht ja nicht ein für alle mal fest, die entwickelt sich dabei. Forschung also auch als Selbsterforschung. Was kann, was will ich, was suche und was finde ich?
Darauf Antworten zu finden, ist unerlässlich, um auf dem Markt zubestehen, um auf sich aufmerksam zu machen und sich zu unterscheiden. Und das verändert sich ständig, die Welt um mich und damit ich, das ist ein Fluss, mal schnell, mal behäbig, mal verwirbelt, mal rückläufig. Wer da nicht nur Treibgut, Getriebener sein will, betreibt diesen Fluss mit, greift ein in Strömung und Richtung: Das ist Forschung und Entwicklung im jeweiligen Gewerk..
Das geht sehr stark über das Experiment, und da sind Rituale zu erfinden, um das zu integrieren in den Betriebsalltag – nicht unbedingt nur mit Spezialisten, die sich die Wenigsten leisten können, sondern: Versuch, Erkundung im Alltag. Das halte ich für extrem wichtig.
Aicher: In der Metapher des Flusses sind räumlicher Kontext und zeitliche Kontinuität angesprochen. Der Fluss gleicht sich und gleicht sich doch nie – ein Greuel für Spezialisten. Das Bild vom Fluss passt aufs´ Handwerk und Ihr erster Meister kommt einem in den Sinn. Der hat ja Herstellen und Geschäft, den großen und den kleinen Maßstab, Tradition und Innovation integriert und so vorgeführt, dass es diese Integrationsleistung ist, in der für das Handwerk auch in Zukunft Potenzial liegt.
Kufus: Das ist eine Leistung, auch eine persönlich zu erbringende. Wie die Ansprüche und Aufgaben verknüpft werden, erzeugt eigene Qualität. In der Ausführung auf Qualität setzen bedeutet: Verantwortung übernehmen für etwas, mit dem eigenen Namen einstehen – als Autor. Wenn Handwerk also nicht bloße Auftragserfüllung sein will sondern wenn dieses mit eigener Qualität verbunden wird, dann ist bereits ein erster Schritt getan, um ein eigenes Profil zu entwickeln. Ein zweiter Schritt, darüber hinaus, wäre: ein eigenes Angebot machen, etwas vorschlagen und dadurch das eigene Potential steigern.
Aicher: Zukunftsfähiges Handwerk muss also sein Qualitätsbewusstsein schärfen und raus aus der Werkstatt, sich zeigen, Kontakte knüpfen, Beziehungen herstellen. Oder anders gefragt: Geht es darum, die vielfältigsten Beziehungen, die zu knüpfen sind, als eine neue Qualität zu greifen?
Kufus: Eine solche neue Qualität ist die größte Herausforderung und leider eines unserer größten Mankos – das Zuwenig an Verknüpfungsstrategien. Mir kommt vor, dass das Handwerk heute zu isoliert werkelt anstatt zu verbinden. Bei einem erweiterten Handwerksbegriff muss dieses Verknüpfen eine ganz wesentliche Rolle spielen. Networking, Verantwortungsteilung, Gleichzeitigkeit – nicht alles an sich ziehen. Über den eigenen Betrieb hinaus! Beweglich, flexibel; und Flexibilität heißt dann: Welches Niveau steuere ich an, welche Verantwortung übernehme ich in dem vernetzten Prozess – eben nicht: ich kann alles.
Aicher: Das ist zu unterstreichen: Niveau, Verantwortung mitdenken! Es wäre ein Missverständnis zu glauben, nun gehe es nur ums Verknüpfen, auf einer höheren Ebene die Fäden in der Hand halten, eine Art Management mit der großen Verknüpfungsmaschine Computer an der Seite. Die Einzelheiten, die Dinge dürfen nicht aus dem Blick geraten und wenn von Niveau und Qualität die Rede ist, dann auch von Qualitätskontrolle. Und da ist die Leibhaftigkeit des Handwerks vor Ort ein ganz eigenes Instrument. Ist das Verknüpfen rein virtuell, oder ist es mit der Sinnlichkeit verknüpft?
Kufus: Das ist die große Frage. Ich sehe hier eine Parallele zu dem Verhältnis sesshaft/nomadisch. Der Designer agiert ja eher nomadisch, hat mit verschiedenen Orten zu tun, arbeitet sich in die Potenziale der Orte ein, fügt etwas hinzu, verknüpft. Der Handwerker ist eher ortsgebunden, an den Standort seiner Produktionsmittel und im übertragenen Sinn auch stärker an sein Vermögen gebunden. Zwei unterschiedliche Existenzweisen, die im Konflikt miteinander liegen und sich doch immer wieder gegenseitig hervorbringen – und brauchen.
Das Problem ist nicht die Ortsgebundenheit, sondern die Schnittstellen, die Anknüpfungspunkte des Ortes zur Welt oder zu den Welten mit unterschiedlichen Qualitäten. Bin ich es, der die Standards setzt, muss Alles auf Meins passen – oder passe ich mich an? Ich meine: Es ist ein interaktiver Prozess, den man nicht alleine „setzen“ kann.
Aicher: Was man am Werkraum gut sehen kann: Es war nicht vorherzusehen, was aus den Anfängen entsteht und wo es hingeht, weiß keiner. Sicher ist nur, dass sich etwas entzündet hat, als dieser Zusammenschluss entstand …
Kufus: …und dazu gehört, dass der eine Pol, der Ort, eine Identität ausstrahlt oder erzeugt, die die Grenze hinter sich lässt, wirbt, Passungen ermöglicht, komplexe Abstimmungen erlaubt. Was kann ich von meinem Anspruch zumuten, was fordere ich, was wird von mir gefordert? Da eröffnen sich Möglichkeiten der Entwicklung. Auch das ist für mich Forschung und Entwicklung und das sollte jedes einzelne Projekt haben. Das wäre angewandte Forschung: Reagieren auf (Auftrag-)Situationen mit eigenen Vorstellungen und neuen Entwicklungen.
Aicher: Gibt es Umstände, die begünstigen, dass etwas Neues auf die Welt kommen kann?
Kufus: Ich benütze gern den Begriff des Modells. Ein Modell ist noch nicht ganz Realität, ist Studie, Vorschlag, aber schon mehr als eine Skizze; sagt etwas über Material oder einen begonnenen Prozess, greift schon in Realität ein. Es ist etwas „zwischen“ und da spielt sich Entwerfen ab. Ich will das Modell gar nicht auf ein physisches beschränken sondern meine einen Prozess, der selbst Modell ist, ein Durchspielen und Proben. Viele unserer Verfahren sind dafür zu starr – eine Ausschreibung etwa. Man muss schon die Möglichkeit geben, Impulse zu erzeugen, sich ins Spiel zu bringen; Handwerker etwa in Planungsprozesse einzubeziehen. Was umgekehrt heißt: der Handwerker muss attraktiv sein, eine Handschrift haben, bereit sein, sich auf das Spiel einzulassen.
Aicher: Spiel – da sprechen Sie ein Modell an, das intensiv durchdacht wurde, so von Friedrich Schiller, den dabei die Möglichkeit faszinierte, dass da einer als Spieler ganz seine persönliche Leidenschaft auslebt und doch das strenge Regelwerk des Spiels bestätigt – ja, das eine erst das andere möglich macht. In diesem Zusammentreffen von anscheinend Ausschließlichem sah er etwas zutiefst Menschliches und schloss: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Spiel als ein Weg des Entwerfens. Das ist zum einen weit weg von der Einbahnstraße: hier Auftrag, dort Herstellung und Produkt; zum andern ist es ein Hinweis auf die Anfangs angesprochenen Grenzen des Handwerks im Verhältnis zur Freiheit der Kunst.
Kufus: Und die Frage schließt sich an, wie weit die Bereitschaft unserer Zeit geht, sich auf das Spiel einzulassen, zu wagen. Die Krise, die wir erleben, ist ja auch eine Krise der Wagnisbereitschaft, wir suchen Absicherungen überall, dabei müssen wir das Spiel viel mehr kultivieren – das erfordert natürlich Mut und Vertrauen.
Aicher: Bei der Beschreibung Ihrer Absichten fällt immer wieder das Wort Eleganz. Das passt zum Spiel. Da schätzen wir ja, was man einen anmutigen, haushalterischen Umgang mit Kräften nennen könnte.
Kufus: Das waren häufig die Ziele meiner Untersuchungen: Wie kann man etwas einfacher machen. Einfachheit anzustreben hat nicht unbedingt ästhetische Gründe …
Aicher: … das würde auf geometrische Reduktion hinauslaufen.
Kufus: Deshalb ziehe ich das Wort „elegant“ vor – man gebraucht es ja auch im Kontext mathematischer Beweise, juristischer Begründungen, evolutionärer Phänomene, krimineller Strategien – eine gewisse Selbstverständlichkeit, Schlüssigkeit, Leichtigkeit ist damit gemeint, ohne dass all dies umgekehrt schon Eleganz hervorbringt. Vielleicht spielt Raffinesse aber auch Reife eine gewisse Rolle.
Auf jeden Fall geht eine Art Rechnung auf, ein Formschluss klappt – ein komplexer Inhalt wird: ja nicht reduziert, sondern hoch konzentriert – etwas wird auf den Punkt gebracht.
Aicher: Viele Objekt des Werkraum zeichnen sich durch Raffinesse aus – sie begnügen sich nicht damit, eine Sache zu können, sondern bieten mehrere Nutzungsmöglichkeiten. Ist auch das elegant: Nutzungen nicht zu reduzieren sondern zu konzentrieren, zu verdichten?
Kufus: Das ist eine Frage der Balance. Nicht immer finde ich mich in angehäuften Nutzungsangeboten zurecht – denken Sie nur an die Mehrfachbelegungen von Tastaturen. Wenn Dinge jedoch so beschaffen sind, dass sie mir beiläufig andere Nutzungen ermöglichen, ist das zu begrüßen – und kann sogar elegant sein. Plump ist, wenn spezielle Nutzungen aufeinandergetürmt sind – aber elegantwunderbar ist, wenn sich Unterschiedliches anbietet – so wie ich mit einem Hammer meine Kraft mehre, indem ich meinen Arm verlängere, aber auch den Stil umdrehen kann und mit dem zusätzlichen Gewicht Feinarbeiten unterstütze.
Ein intuitiver Zu- und Umgang muß möglich sein. Und der Zusammenhang klar.
Aicher: Eins greift ins andere, da stimmt was zusammen – ein deutlicher Hinweis auf eine Beziehung, eine gelöste, stimmige. Das ist mehr als ein Ding: Eleganz macht Sinn.
Kufus: Jedenfalls spricht sie meist alle Sinne an. Aber sie ist schwer zu erzeugen – und schon gar nicht zu erzwingen. Ein Wagnis steckt drin, Manchmal ein Kurzschluss, vieles, was nicht berechnet werden kann, was sich bloß rationaler Entscheidung entzieht.
Aicher: Dazu Ihr Wort, dass vieles, was beim handwerklichen Tun mit den Händen geschieht, sich den Worten entzieht.
Kufus: Da bringe ich mal meine Beine ins Spiel: Spielbein und Standbein im Wechsel. Auf dem Standbein basiert, mit dem andern dieses umspielen, variieren, zeitweise auch abheben, im Wechselschritt tauschen. So war vielleicht mein Weg: Das Standbein entwickeln, beginnend mit dem Handwerk, dann die Werkstatt, Ressource der Erfindungen, verlassend auf’s Spielbein gestellt – und heute weiß ich gar nicht recht, ob ich schon wieder ein Spielbein entwickelt habe. Man weiß es selbst am wenigsten.
Es gleicht einer labilen Balance, und die wird durch Bewegung am besten im Gleichgewicht gehalten. Es bleibt ein Risiko, dass das Spielbein verschossenens Experiment ist. Die Bereitschaft, es trotzdem einzusetzen, geht an die Grenzen eines Betriebs. Deshalb ist die Dosierung so wichtig: kleine Portionen, im Alltag. Die Kreativität im Alltag ist das Entscheidende, nicht immer nur der große Sprung, der kreative Höhenflug.
Aicher: Wo Verknüpfung eigentlich zum Thema wird, beim Werkzeug, tut sich seit Jahren Gewaltiges. Mit CNC, CAD und CAM hat die Elektronik Einzug gehalten. An der Bauhaus-Universität Weimar haben Sie mit 3-D Scannern und 5-Achs-Fräsen Erfahrungen gesammelt – wie sehen die aus?
Kufus: Zu unterscheiden ist zwischen Entwurf und Produktion. Die neuen Technologien sind natürlich ideal, um zu wiederholen und sie können heute mehr als geradeaus sägen oder Löcher bohren. Handwerkliche Produktion kann durch Programierung und digitale Steuerung ersetzt oder gar simuliert werden. Bei zeitintensiven handwerklichen Prozessen können diese Technologien auch für kleine Betriebe sehr hilfreich sein.
Aicher: Verbringt der Handwerker als Programmierer der CNC-Fräse, des Wasserstrahlschneiders die Zeit, die er in der Produktion spart?
Kufus: Ich wage nicht abschließend zu beurteilen, ob das ganze Engagement von der Hobelbank an die Programmierung dieser Maschinen verlagert wird, um diese teure Anschaffung zu amortisieren. Größe des Betriebs, Art der Arbeit, der Organisation spielen mit hinein und erlauben nicht eine einzige Antwort.
Sicher werden sich die Geräte in großem Maßstab weiterentwickeln, neben spanabhebende werden aufbauende, sinternde treten. Damit wird für kleine Serien möglich, wozu einst aufwändige Werkzeuge für die Großserie nötig waren. Die zunehmende Komplexität ist für den einzelnen Handwerker allein nicht zu bewältigen, die Umsetzung erfordert Spezialisten, neue Berufsfelder und Zeit. Der Verbund wird gefragt und es wird viele neue Möglichkeiten geben. Customizing – projektspezifische, kundenorientierte Erzeugung – wird mit dieser Technologie konkurrenzfähig. Die Entwicklung geht von der Großserie zur Kleinserie, Preise für Erzeugnisse aus Kleinserien werden sich den Erzeugnissen aus Grosserien nähern.
Aicher: Das ist die Produktion – wie steht es um das Entwerfen?
Kufus: Zuerst habe ich die Dinge ganz traditionell als Mock-up, Funktionsmodell handwerklich hergestellt, dann immer mehr rein digital als Datenmodell und nun habe ich die Möglichkeit, diese Datenmodelle in unterschiedlichen Materialien mit Rapid-Prototyping-Strategien herstellen zu lassen ohne den dann umständlichen Umweg mit der Hand. Außerdem kann ich jedes Handmodell digitalisieren. Das alles erlaubt, die Zahl der Wechselschritte zu erhöhen vom Künstlichen zum Handfesten und wieder zurück; die Wechselschritte zwischen digital und analog werden zunehmen. Das ist eine Zunahme interaktiver Beziehung, fast dialogisch.
Aicher: Was im Gegenschluss die Vermutung nahelegt, dass die Bildschirmebene zum Entwerfen nicht hinreicht.
Kufus: Ganz klar – da fehlt die Beziehung zwischen mir und dem Gegenstand. Bei all den beeindruckenden Möglichkeiten, die der Bildschirm heute bietet: Eine reale Beziehung entsteht nicht – alles, was über das Visuelle hinausgeht: Gegenüberstellung, Tasten, Gewichten, körperliche Beziehung, die Relation zur Welt– im Grunde der gesamte Maßstab 1:1. Der ist im Computer überhaupt nicht vorhanden.
Aicher: Dieses in Beziehung setzen zur Welt, das müssen wir ja lernen.
Kufus: Besser, das dürfen wir nicht verlernen, das lernen wir seit der ersten Sekunde unseres Lebens.
Aicher: Und – wie wir heute wissen – ganz besonders mit unseren Händen.
Kufus: Sicher – und ich werde auch in Zukunft Entscheidungen mit der Hand treffen wollen. In einigen Fällen über handgefertigte Modelle, in anderen – etwa bei komplexeren Geometrien – über digital generierte. Bestimmte Geometrien, aber auch Verfahren wie Spiegelung, Durchdringung, Addition, Skalierung sind der Bearbeitung mit diesen Techniken gemäßer. Aber sie werden dann am handfesten Modell geprüft, korrigiert, erneut generiert. Die Frage ist: Verliere ich aufgrund der Komplexität der Werkzeuge die Kontrolle oder den direkten Bezug, also die Nähe. Aber es gilt ja auch umgekehrt, wenn zu simple Werkzeuge oder Unvermögen mich hindern, etwas Anspruchsvolles auszuführen. In beiden Fällen habe ich mit Gesetzmäßigkeiten zu tun, die mir auch beim Schnitzen begegnen: Niemals kann ich mit Ebenholz dasselbe schnitzen wie mit Linde.
Aicher: Die Frage ist: Verliere ich die Kontrolle aufgrund der Komplexität oder weil ich ein Gerät habe, das unglaublich schnell wiederholen kann, was faszinierend ist, mich in den Bann schlägt und mir neue Abhängigkeiten aufnötigt? Niemand wird die Bereicherung durch neue Technologien verschmähen – es fragt sich nur: Wird das Wechselspiel von Hand und Kopf, von Standbein und Spielbein, von Können und Experiment, Forschung und Produktion, von Werkstatt und Wettbewerb, dieses Wechselspiel, das Handwerk ist und das man im Werkraum erlebt, davon tangiert?
Kufus: Ja , alles ist im Fluß. Die virtuellen Welten drängen in alle Lebens- und Arbeitsbereiche.
Die Frage und Aufgabe ist: wie finden und nutzen wir die Möglichkeiten, wie schaffen wir die Verknüpfungen zu unseren Maßstäben. So würden uns die neuen Medien gerade die Aufgabe stellen, uns dieser Maßstäbe sehr bewußt zu vergewissern – mag sein, dass dies zurzeit ein wenig untergeht.
Aicher: Was irritiert: Dieses Gerät Computer , das alles verspricht nahezu alles und, mir so sehr gehorcht mir so sehr, dass der Eindruck entstehen könnte, mein Gegenüber verschwindet. Dem setzen Sie entgegen: Mit dem Werkzeug – gerade mit diesem Allesversprecher – als einem Gegenüber rechnen, so wie ich es tue, wenn ich mit den Händen einen Stoff bearbeite.
Kufus: Das neue Medium kommt hinzu, erweitert, ergänzt. Aber es ersetzt eben nicht den leibhaftigen Umgang, Kern aller handwerklichen Arbeit. Warum sollte es auch?
Als Lehrer versuche ich den Studierenden eine Beziehung zu Material und Prozessen zu öffnen. Es geht mir um die Intensität der Beziehung, modellhaft und real. Nicht ein Weg, sondern eine Landschaft, im Wechsel, spielerisch und ernst, spontan und reflektiert, analog und digital, Staub und Pixel. Und dann die Entscheidung Punkte treffen, mit EntscheidungEntschiedenheit, mit Verantwortung.
aus eigen+sinnig: Der Werkraum Bregenzerwald als Modell für ein Neues Handwerk
Florian Aicher (Autor), Renate Breuß (Autor), Thomas Lüttge (Illustrator)
Verlag: oekom verlag; Auflage: 1., Aufl. (15. Juni 2005)
ISBN-10: 3936581886