Grassroots Production
Simplicity as a Strategy
Vortrag für die Internationale Designkonferenz ’96 in Aspen
Einfachheit ist nicht einfach!
Die Welt, die sich einfach so dreht. Die Wolke, aus der es einfach so regnet. Der Kuckuck, der sein Ei einfach täuschend echt anmalt. Die Kerze, die sich einfach so verbrennt… Obwohl sie ein menschliches Produkt ist, scheint sie auch aus diesem Paradies sich-selbst-regulierender Vorgänge zu kommen. Ohne heilig zu werden, muß ich Ihnen die Kerze genauer zeigen, obwohl jeder sie kennt: Ein einfaches Artefakt mit komplexer Funktion. Für mich ein Vorbild an vollkommener Gestalt. Nicht mehr als ein geflochtener Faden, umgeben von Wachs. Gespeicherte Energie in handlicher Form. Sie schmilzt mit eigener Flamme ihren Wachs. Nur soviel, wie sie mit dem Docht nach oben transportiert. Nur soviel, wie sie dort verbrennt. Die Kerze wird kürzer, der Docht aber nicht länger. Seine Spitze verglüht nach und nach, weil das Wachs nicht höher steigen kann, bevor es verbrennt. Dadurch bleibt die Flamme gleich groß. Sie regelt sich vollkommen selbst. Sie verbraucht sich vollkommen selbst. Sie ist einfach im Gebrauch, jeder versteht sie. Sie ist überall auf der Welt verbreitet, überall herzustellen und überall hinzustellen. (Der Redner klebt die Kerze mit ein paar Tropfen Wachs auf das Pult) Sie scheint alle technischen Entwicklungen zu überleben.
Der Mensch tut sich schwer mit dem Paradies. Einmal herausgetreten, steht er Vorgängen gegenüber, die Milliarden Jahre Zeit hatten, sich zu entwickeln und die auch noch weitere Milliarden vor sich haben, ob mit uns oder ohne uns. Und das Menschenmögliche erweist sich immer mehr (immer wieder) als unmöglich auf der Welt. Die Paradiese von Menschenhand, die für einzelne Individuen vielleicht zeitweise in Erfüllung gehen, zeigten zuletzt in unserem Jahrhundert der Moderne ihr katastrophales Scheitern. Wir beherrschen die Welt, sind aber nicht Herr der Lage. Die Komplexität der Natur und die Folgen unserer Eingriffe sind nur ansatzweise sichtbar und das auch nur aus menschenmöglicher Perspektive. Wie können wir uns ein Beispiel an den Kreisläufen und Verknüpfungen in der Natur nehmen, wenn wir eingreifen? Jede Produktion greift ein, bewegt Stoffe, löst Reaktionen aus, hat Folgen, die Folgen haben. Wie können wir vorausschauend, behutsam und nachhaltig eingliedern, wenn wir die Komplexität kaum verstehen und wenn die Märkte, die Produktion erst ermöglichen, ganz anderen Gesetzen folgen: die der Verdrängung, der billigsten Produktion, des schnellsten Erfolgs, der Weckung von Bedarf. Der Designer steht, wie viele andere auch, mitten in diesem Widerspruch. Er ist Urheber und verantwortlich für die Gestalt. Die Gestalt ist aber nicht nur die Hülle (äußere Erscheinung), die Gestalt formt das gesamte Wesen: Wie es in die Welt kommt, was es hier soll, wie es sich eingliedert usw. Diese Fragen und Forderungen lassen sich niemals im Voraus vollkommen klären, jede Entwick-lung würde im Streit um die Beantwortung lahmgelegt, denn es gibt immer viele Antworten, oder auch gar keine. In diesem Dilemma steckt die Entwicklung und Einfügung von Groß-und Hightechnologien in Deutschland.
Doch nicht nur die großen Projekte werfen große Fragen auf. Schon die Kleinen und Kleinsten stecken in ungeheuer komplexem Kontext. Wie kann heute ein Schrank, ein Stuhl, ein Bett entstehen? Gibt es einfache Lösungen? Ist der Trend der ‚Neuen Bescheidenheit‘ ein Bedürfnis nach einfachen Lösungen? Sich bescheiden auf die Basic’s, kein Luxus, kein Schnörkel, pures Material, pure Form, pures Leben? Doch Achtung! Wenn ein Ding heute einfach aussieht, ist es auch einfach gemacht? Ist der Stil der neuen Bescheidenheit auch ein Produktionsstil, reduziert auf das Wesentliche? Auf einen ausgewogenen, verknüpfenden Prozeß von Material, Technologie, Energieeinsatz, Transport, Flexibilität, menschlicher Arbeit, Entsorgung und natürlich auch Gebrauch. Einfachheit, die ich meine, negiert nicht die Komplexität. Sie ist Resultat, Essenz, Sichtbares, Werkzeug der Komplexität.
Ein Brett ist nicht einfach mehr ein Brett. Wo ist der Wald, aus dem das Holz stammt? Wie lang ist seine Reise? Oder sind es nur verklebte Späne? Welche Technologie schneidet, bohrt, beschichtet es? Was ist mit der Verpackung? Wohin mit dem Brett, wenn ich es nicht mehr brauche? Bringen wir uns mit den Fragen und Auflagen an den Stillstand eigener Produktion? Oder erzeugen wir gerade durch die Anforderungen den Druck für die sinnvollsten und auf Dauer lebensfähigsten Wege und Verknüpfungen? Zur Zeit, wo wir noch am Anfang des sogenannten Strukturwandels sind, geht in Deutschland alles drunter und drüber. Die Arbeit ist zu teuer und drumherum zu billig. Die Energiepreise sind nicht real. Die Produktion ist viel zu unflexibel. Die Maschinen auf zu hohe Stückzahlen spezialisiert. Und der Weg zum Verkauf vervielfacht die Produktionskosten. Welche neuen Strategien der Vervielfältigung lassen sich neben diesem trägen Mainstream finden?
Der Designer als Urheber muß neue Kooperationen initiieren, Kurzschlüsse herstellen! Quasi als Nomade kann er die Seßhaften, die Produktionsstätten, miteinander verbinden. Mit Produkt-Konzeptionen, die sich lokal, dezentral, flexibel und bei Bedarf realisieren lassen. Dazu ist eine aktive Vernetzung zur Bündelung von Angebot und Nachfrage notwendig: Wer kann was, wer macht was, wer liefert was? Wer hat noch Kapazitäten? Welches Werkzeug ist gerade installiert? Wer will mit aufspringen? Etc.
Das bestehende KnowHow, die vorhandene Technologie und die laufende Maschinerie kann viel intensiver genutzt werden. In einer Art Gleichzeitigkeit, die in anderen Märkten, z.B. in Geld- oder Nachrichtenbörsen (CNN!) längst existiert. Die Kabel für diese Vernetzung werden in Deutschland gerade gelegt. Die Zeit für diese temporären, parallelen, sich selbst organisierenden Ko-Operationen ist längst reif!
Eine solche virtuelle Börse beteiligt Industrie und Kleinstrukturen: Die Industrie liefert Material, Halbzeuge und Komponenten. Ihr Standard-Angebot kann um die Spezialitäten erweitert werden, für die ohne Vernetzung nicht genügend Volumen zur sinnvollen Produktion vorhanden wäre. Die anderen verarbeiten bei Bedarf lokal und können durch digitalen Verbund und Steuerung kostengünstig Kleinserien realisieren.
Ich glaube, daß es den kleinen Strukturen wie Handwerksbetrieben gelingen kann, als regionale Erzeuger neue Wege zu gehen, daß sie Ihre Rolle als Erzeuger neu definieren müssen: Eigene Produkte anzubieten und auszutauschen, die sich aus den lokalen Voraussetzungen einerseits und der Vernetzung und Verbund andererseits entwickeln lassen. Produkte, die durch intelligent konzipierte, sinnvolle Arbeitsprozesse und den Einsatz geeigneter Materialien ein angemessenes Preis/Leistungsverhältnis erzielen. Doch müssen auch neue/alte Wege des Vertriebs/Verkaufs gegangen werden. Die klassischen Wege der Kollektionen über den Einzelhandel verteuern den Herstellungspreis um den Faktor 4. Eine Arbeitsstunde kostet den Käufer somit DM 250. Das führt in einen Luxus, der bestimmt nicht gemeint ist. Wer kann sich das leisten?! Direkte Wege müssen gesucht und angeboten werden: die aktive Kommunikation, der Verkauf ab Werk, der lokale Service.
Aus meiner eigenen Werkstattarbeit habe ich gesehen, daß komplexe überlegungen zu den einfachen Dingen führen können. Naheliegendes scheint oft noch völlig unentdeckt. Ich zeige ihnen eine Auswahl
Arbeit ohne Werkstatt
Nicht die Analyse stelle ich an den Anfang sondern das Experiment mit unbekanntem Ausgang. Spontane Improvisationen und Verknüpfungen mit gesuchten und gefundenen Materialien. Aufbrechen eigener Tabus und handwerklicher Konventionen mit einfachen (‚verbotenen‘) Handlungen. Einzelstücke, nicht für den Verkauf bestimmt, aber zur öffnung der Sinne.
Die Werkstatt als Labor
Die experimentelle Arbeit darf sich nicht nur im freien Feld abspielen! Sie muß vielmehr in die engumrahmten, disziplinierten Prozesse und Strukturen integriert werden. Der enge Rahmen hier ist eine Schreinerei mitten in Berlin mit Standardtmaschinen und Standardtmaterialien. Wie kann ich Konstruktionen finden, die stabil und leicht, demontabel und dort einfach herzustellen sind? Latten und Hartfaserplatten. Die Hartfaser ist so dick wie der Sägeschnitt. Gesägt, geschlitzt, gesteckt. Nicht mehr! Wichtig sind integrierte Mehrfachfunktionen der Elemente. z.B. die Tür als Sandwich aus zwei inneren Rohren und zwei dünnen Platten, das eine Rohr ist länger und damit gleichzeitig Drehachse der Tür.
die Werkstatt als Fabrik
Ein Beispiel einer absoluten Reduktion durch verknüpfte Funktionen ist das FNP-Regal. Es läßt sich seriell mit nur einer Maschine, der Kreisäge, herstellen. Seine formschlüssige Verbindung aus Seiten, Böden und Schienen läßt sich ohne jedes Werkzeug montieren. Die Seite hält die Schiene Die Schiene hält den Boden Der Boden hält die Schiene Die Schiene hält die Seite. Entscheidend für den Erfolg war die verbindende Gestaltung von minimaler Konstruktion und einfachster Produktion. Die äußere Erscheinung ist kein Styling, sondern das Resultat geschickter Produzierbarkeit. Die Werkstatt wird kurzfristig zur kleinen Fabrik: in zwei Wochen lassen sich zu zweit 50 Regale herstellen. Die wenigen Maschinen werden so eingerichtet, daß das Material wie von selbst fließt: Lange schmale Bretter sägen, die einen von unten einsägen , die anderen an den Kanten, ablängen, fast fertig! Eine ’sportliche‘ Abwechslung zur Finanzierung neuer Projekte! Ein Modell für kleine, unabhängige Betriebe, spontan, lokal und bei Bedarf kostengünstig zu produzieren.
die Werkstatt im Netz
Wachsender Bedarf und wachsende Produktion muß nicht unbedingt die Werkstattstruktur zum Wachstum zwingen. Die Dezentralisierung der Produktion ist vor allem bei niederkomplexen Fertigungen relativ unproblematisch und vor allem sinnvoll: Es bildet sich ein Verbund von örtlichem Vertrieb und lokalen Werkstätten. Ihnen wird das KnowHow und die Schablonen, die Werkzeuge oder das Programm zur Verfügung gestellt, mit denen die Maschinen im Handumdrehen umgerüstet werden können.
Die Werkstatt im Kreis
Am Beisspiel eines Tisches möchte ich Ihnen eine Folge von integrierten Nutzungen zeigen. Wie mitten in der Großstadt einen Tisch herstellen, ohne Massivholz lange lagern, sägen, hobeln, schlitzen, zapfen, schleifen und schließlich lackieren zu müssen? Nimm ein gutes, einfaches Material (filmbeschichtetes Sperrholz,allgemein als Betonschalung oder zum Fahrzeugbau verwendet), schneide es mit Schablonen aus und setze die Teile gefaltet wieder zusammen. Die scharfen Kanten werden mit einer Fase gebrochen, die eine feine, edle Kantenlinie hinterlässt. Ein Dekor mit Funktion. Doch was tun mit den Abfällen zwischen den Tischbeinen? 1.Vorschlag: Leime sie aufeinander, fräse sie numerisch ein und aus, und stecke mit Hilfe von Stöcken einen Stuhl zusammen. 1 Tisch ergibt die Reste für 6 Stühle. Sie sind federleicht, flach verpackt und ohne großes Geschick zusammenzusetzen. 2.Vorschlag: Schneide die Reste noch kleiner, bohre wenige gezielte Löcher und der Kunde setzt sie nach einfacher Methode wieder zusammen. Schraubenköpfe dienen als Schwalbenschwänze, dünne Sperrholzstreifen im Wechsel mit schmalen Korpusseiten als Lauf- und Kippleisten. Ein Containersystem in vielfältiger Addition einzelner Segmente.
Die letzte Arbeit, die ich Ihnen zeigen will, ist ein Schranksystem…
… Der Schrank besteht aus acht schmalen, dünnen Paneelen und vier Scharnierbändern an seinen Ecken. Sie stabilisieren, verbinden, tragen und öfnnen. Mit den vier losen Achsen wird alles auf einfache Weise zusammengesteckt. Die Böden, an ihren Ecken nur eingesägt, werden an die innenliegenden Scharnierlappen gehängt. Aus einem leichten Paket wird ein geräumiger Schrank. (…) Die Orte der Produktion erfordern und ermöglichen, wie ich versucht habe, beispielhaft zu zeigen, innovative und verknüpfende Gestaltung.
Zusammen mit Nils Holger Moormann, der sich, als einer der wenigen Möbel-Produzenten in Deutschland, mit viel Sensibilität und Risiko, Verantwortung und Kreativität um neue Produkte und ihre Prozesse kümmert, suchen wir nach neuen Wegen, regionale Produktion zu nationaler und internationaler Distribution zu führen. (…) Weimar, wo ich als Professor an der Bauhaus-Universität lehre, ist umgeben von selbst- und fremdzerstörten Produktions-Strukturen. Schaut man genau hin, zeigt sich ein ungeheurer, aber verschütteter Reichtum an KnowHow und teils exotischer Technologie. In gemeinsamen, studentischen Projekten starten wir temporäre Kooperationen vor Ort… Unsere Werkzeuge sind: das Experiment, die Verknüpfung, die Erprobung und immer wieder die Suche nach akuter Gestalt. (…) Designer wollen ’schöne Dinge‘ machen! Schöne Dinge brauchen schöne Wege! Vor sich und hinter sich!