Wechselwirkung zwischen digitalen und analogen Welten

Dies ist der Box-Titel

form 198, making models work
Sep/Okt 2004, 44 f.

 

Das Rapid Prototyping hat Entwurfsprozesse im Design radikal verändert. über die Risiken und Chancen des digitalen Modellbaus sprach Petra Schmidt mit dem Designer und Hochschullehrer Axel Kufus.

Petra Schmidt: Wie kommt es denn, dass jemand wie Sie, der eine Ausbildung als Schreinermeister hat und für ein sehr geradliniges Design steht, sich so stark für zeitgemäße Formen von Modellbau interessiert?

Axel Kufus: Als Schreinermeister war ich ständig in die Umsetzung von Ideen oder Plänen involviert. Meine eigenen Entwürfe sind in vielen Modellstadien gereift. Detailmodelle z.B. einer Verbindung, aber auch Produktions- oder Vertriebsmodelle haben wesentlichen Einfluss auf die Entwicklungen gehabt.

Die von mir oft angestrebte Einfachheit habe ich weniger als minimalistische Reduktion, vielmehr als Konzentration und Verknüpfung komplexer Inhalte erlebt. Die geraden Linien ergaben sich übrigens aus den mir damals zur Verfuegung stehenden Technologien, die ich versuchte, mit geringstem Aufwand auszureizen. Ohne die Interaktion mit Modellen auf verschiedensten Ebenen kann das Finden der eleganten Formel kaum gelingen.

 

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Abb: Reh, Dipl. Arch. Gregor Sauer, Bauhaus-Uni Weimar

 

Als Hochschullehrer in Weimar hatte ich die Chance, weit über die Schreinerei hinaus, Strukturen für Modellstrategien auf verschiedensten Ebenen mitaufzubauen. Geholfen haben mir dabei die eigenen Labor- und Produktionserfahrungen und damit die Erkenntnis, nicht auf lineare Abläufe im Entwurfs- und Entwicklungsprozess zu setzen, sondern Experiment, Reflektion und Wechselwirkung in allen Stadien zu fördern. Im Aufbau des Rapid Prototyping sah ich die Chance, Ideen und Welten, Daten und Späne auf äusserst spannende Art zusammenzubringen, modellhaft in gewisser Weise. Wie das mit meinem neuen Job an der UdK Berlin unter ganz anderen Vorzeichen gelingt, werde ich in einzwei Jahren sehen…

Petra Schmidt: Spricht man über Verfahren wie Rapid Prototyping, dann geht es meist um Geschwindigkeit und Kostenreduktion. Wie stehen Sie dazu?

Axel Kufus: Die Beschleunigung in bestimmten Phasen der Entwicklungsprozesse ist enorm. Es wäre ja quasi eine Rückkehr in ein anderes Zeitalter, wenn erst ein hochkomplexes Modell mit freigeformten Flächen im Rechner erzeugt und es anschlie?end per Hand nachgeschnitzt würde. Mit digitaler Unterstützung können schnell und mit geringerem Kostenaufwand Modelle oder Teilmodelle in den verschiedensten Stadien umgesetzt werden. Jeder, der mit Rapid Prototyping arbeitet, hat schon die Erfahrung gemacht, dass ein Entwurf total anders erscheint, sobald er als Modell auf die Welt gebracht wurde. Denn was ich am Monitor sehe, hat ja nie ein Größenverhältnis von 1:1, ich kann es nicht anfassen oder in eine Beziehung zu mir stellen. Diese durch RP ermöglichten Erprobungs- und Reflektionsebenen brechen die Einbahnstra?e der reinen Bildschirmillusion auf und provozieren vielschichtige Wechselwirkungen zwischen Entwerfer und Objekt. Hinzu kommen die Vorteile, die das 3D-Scannen mit sich bringt. Jeder Gegenstand, vom ObjektTrouvee und ReadyMade über MockUp-Modelle bis zum mit der Hand überarbeiteten RP-Modell kann digitalisiert und am Rechner bearbeitet werden: analog und digital im Doppelpass! Ob dies zum schier endlosen Loop oder die Chance zu entscheidenden, qualitätsvollen Treffern genutzt werden kann, liegt natürlich am Designer und seinen Mitstreitern.

Weites Potential liegt z.B. in Oberflächen und Strukturen, die uns in der Welt umgeben: eingescannt, skaliert, manipuliert oder in den Rapport gebracht erweitern sie das Spektum der in den Programmen enthaltenen Bumps.

Und verführen zu wunderbaren Ideen wie dem Fleischhammer von Alrik Wolff, dem ein Schweineschädel Pate stand. Ich reduziere also die RP-Technologien nicht auf die reinen Kostenaspekte, sondern setze auf die erweiterten Qualitätspotentiale in der Wechselwirkung zwischen analogen und digitalen Welten.
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Abb: Hammer, Alrik Wolff, Bauhaus-Uni Weimar

 

Petra Schmidt: Würden Sie sagen, dass diese Technologien den Studierenden das Entwerfen erleichtern? Oder lassen sie sich dazu verleiten, sich mit dem, was die Programme können, zufrieden zu geben?

Axel Kufus: Manche Designer stecken in einer fast monogamen Beziehung zu ihrem Computer.

Und manchen Entwürfen sieht man regelrecht an, mit welchen Programmen sie modelliert wurden. Ich fürchte diese Automatismen und kann diese Eindimensionalität nur knacken, wenn im Entwurfsprozess die digitalen und realen Welten vielseitig miteinander verknüpft werden. Sicher sind diese Vorgehensweisen komplex, aber vor allem relevant und auch wahnsinnig spannend.

Petra Schmidt: Was gehört denn unbedingt in die Modellbauwerkstatt einer Hochschule?

Axel Kufus: Unverzichtbar sind Werkstätten fuer die Bearbeitung der klassischen Materialien wie Holz, Kunststoff, Metall, Gips und Ton mit Standard-Maschinen und Handwerkzeugen, verknüpft mit einer hohen Kultur des Schablonen- und Vorrichtungsbaus, um Erfahrungen mit seriellen Strategien zu machen. Wenn in diese analogen Strukturen die digitalen Werkzeuge schwellenfrei integriert werden, kommt es zu hohen Synergieeffekten. An der Bauhaus-Uni in Weimar konnten wir sogar Container mit CAD/CAM-Rechner-Pools in den Werkstätten ansiedeln, um die unmittelbare Naehe zwischen virtuellen und realen Welten zu provozieren. Eine 5-Achsen-Fräse bietet ein breites Spektrum an Materialbearbeitungen, sowohl für das unmittelbare Werkstück als auch für den Formenbau. In Weimar ist sie rund um die Uhr im Einsatz. Den optischen 3D-Scanner habe ich schon erwähnt. Und das Vacuumgiessen schliesst die Prozesskette: kommt man über Rechner, Fräse oder Printer zu einem Urmodell, das abgeformt wird oder direkt zu einer Gussform, kann diese unter Vakuum mit Kunststoffen verschiedenster Qualität gefüllt werden – und ist schon in Berührung mit einigen Regeln, die auch beim Spritzguss gelten…

Petra Schmidt: Wir haben eben über Kleinserien gesprochen. Aber es gibt ja auch Projekte wie die von Vogt + Weizenegger, bei denen Materialien aus dem Modellbau direkt für Serienprodukte eingesetzt werden. Sehen sie da eine Zukunft?

Axel Kufus: Sie sprechen den übergang von Rapid Prototyping zu Rapid Producement an. Es gibt bereits Sinterverfahren, mit denen hochfeste Elemente hergestellt werden können. Das ist ein erster Schritt. Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis solche Verfahren so weit ausgereift sind, dass sie in der direkten Produktion eine Rolle spielen. Noch muss ja z.B. beim 3D-Printer die Düse das Objekt Zeile für Zeile und Schicht für Schicht aufbauen. Verglichen mit traditionellen Methoden der Herstellung, dem Fräsen, Pressen, Verformen oder Giessen ist das viel zu langsam. Daher sehe ich den Stuhl von Vogt + Weizzenegger eher als mediales Projekt. Das Rapid Tooling, also der digitalisierte Werkzeugbau, spielt jedoch schon eine gewisse Rolle. Die direkte Produktion wird vielleicht erst mit Hilfe der Nanno-Technologie gelingen, wenn also viele kleinste Elemente sich so programmieren lassen, dass sie sich als Schwarm zusammenfügen und eine Figur mit den gewünschten Eigenschaften bilden…

Petra Schmidt: In der Architektur hat das Modell eine andere Funktion als im Design. Architekten arbeiten mit Miniaturen. Und auch die Materialien werden nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgesucht. Können Designer etwas von dieser Art des Modellbaus lernen?

Axel Kufus: Aber ja. Architekten und Designer können viel voneinander lernen. Ich halte es für sehr wichtig, dass Architekten in der Ausbildung Erfahrungen im Ma?stab 1:1 machen. Und sei es, Verbindungen und Anschlüsse detailliert auszuarbeiten. Welch ein Vorteil, einen Entwurf selbst umsetzen, begreifen und damit reflektieren zu können. Aber auch umgekehrt: aufgrund der Verkleinerung und der damit verbundenen Abstraktion haben Architekturmodelle oft skulpturale Qualitäten, die in der Interaktion ganz ungeahnte Erkenntnisse und Wege öffnen können. Dagegen bringt mich der im Design oft typische PU-Schaum eher zum Husten. Der Einsatz reeller Materialien bietet durch Widerstand und Eigenart neue Aspekte, denen ich folge oder die mir folgen.

Petra Schmidt: Wie stellen Sie sich die Zukunft des Modellbaus vor?

Axel Kufus: Welche Disziplin arbeitet nicht mit Modellen? Wie können wir von den Modell-Strategien der anderen lernen, denen der ökonomen und Philosophen, der Klima-, Stern- und Teilchenforscher und denen der virtuellen Virtuosen, um Vorhaben in Vorstellungen und diese in verschiedensten Stadien mit Realität in Verbindung zu bringen – kurz gesagt: mit welcher Qualität kommt das Neue auf die Welt – oder auch: Modelle erzeugen Zukunft.