über Denken

Dies ist der Box-Titel

in Rotis, Mai 1999

 

Vortrag Axel Kufus

 

Ich hoffe, daß ich Dich, Florian Aicher und Sie, verehrtes Publikum, nicht enttäusche, wenn ich jetzt entgegen der Programmansage nicht meine eigenen Arbeiten zeige. Ich habe etwas viel Schöneres mitgebracht und ich fürchte, daß meine Arbeiten einen direkten Vergleich damit gar nicht aushalten. Nur wenn’s dann gar nicht anders geht, kann ich zu guter Letzt ein paar meiner bebilderten Strategien darstellen.

 

Vor einiger Zeit machte ich gemeinsam mit Studenten der Bauhaus-Universität in Weimar auf einer unserer vielen Exkursionen zu Betrieben in der nahen Region eine wundervolle Entdeckung. Unser Ziel war an diesem Tag eine Fabrik für technische Keramik. Wir wollten uns über deren Produkte und Verfahren informieren und herausfinden, ob für unser Projekt, Souvenirs für die Kulturstadt Weimar ’99 zu entwickeln, dort geeignete Produktionsmöglichkeiten bestehen. Durch den Betrieb führte uns ein alter, herzkranker Mann, dessen Leben in der Vergangenheit lag. Als ehemalger Leiter des Kombinats für technische Keramik hatte er diesen großen ‚Tanker‘ – einen Betrieb von 3 000 Leuten – durch die diversen Phasen der DDR-Wirtschaft gelenkt und den Großteil der Produkte – Sicherungskörper, Isolatoren, Filterteile etc. – in die Sowjetunion und auch in den Westen exportiert. Die Produktpalette war schon damals recht schmal. Die Blütezeit der keramischen Industrie lag viele Jahrzehnte zurück – Längst abgelöst durch Kunststoffe und Metallteile aus Legierungen aller Art, dann natürlich auch immer mehr durch die Miniaturisierung.

 

Jetzt waren nur noch Fragmente dieses Werks übriggeblieben: 300 von 3 000 Leuten, einige wenige Kerngebäude, ausgestattet mit vollautomatischen Tunnelöfen, aber auch noch mit archaisch anmutenden Porzellanpressen, aus denen in lautem Rhythmus Dutzende kleiner Pfeifenfilter fielen. Auf die Möglichkeiten, Verfahren und Werkzeuge angesprochen, wies uns der alte Mann immer weit in die Vergangenheit zurück und auf das leergeräumte Gelände. Seinem wagen Hinweis folgend, gelangten wir nach mühevollen überredungsversuchen auf dem Dachboden des örtlichen Museums in Eisfeld, wo wir unter Taubenleichen und zerborstenen Schrankteilen aufgeweichte Kartons mit dreckverkrustetem Inhalt bergen konnten.

 

Ich zeige Ihnen diesen Schatz Bild für Bild und ich hoffe, Sie können den Bildern folgen, aber auch meinen Gedanken. Die Bilder zeigen ein Buch; ein Musterbuch dieser thüring’schen Fabrik. Es zu lesen, so wie es geschrieben und genäht wurde, wird mir nicht gelingen. Der alte Herr konnte mir anhand von Dias noch die Funktionen der einzelnen Teile erläutern, sein Vorhaben, diese im einzelnen aufzuschreiben, hat er nicht mehr erledigen können.

 

Aber ich bin kein Archäologe. Ich lese dieses Buch ganz anders. Zunächst einmal so: Hut ab vor diesen Gestalten!

 

Es zeigt Objekte, die Teile waren von Geräten, Maschinen, Aggregaten und auch Gebäuden. Ihre Formvielfalt ist für mich schier schwindelerregend. Der Erfindungsreichtum, der dahinter steckt, ist extrem. Das gilt auch für das Ingeniering. Es ist ja nur Porzellan – roh oder mit Lasur gebrannt – immer in Werkzeugen gepresst, also mit den entsprechenden Gesetzen der Formtechnik, des Materialflusses, der Entformungsschrägen, der Gradbildung, der Schrumpfung, des Verzugs beim Brennen, der Toleranzen etc. konfrontiert. Nicht zu vergessen die eigentliche Funktion, denen diese Teile dienen sollen oder sollten.

 

Natürlich hatten diese Dinge ihre Zeit, umentwickelt zu werden. Sie reicht bis weit ins letzte Jahrhundert hinein und endet in den 20er Jahren. Natürlich gibt es heute wahrscheinlich sogar eine viel größere Vielfalt von Objekten, wenn auch viele unsichtbar geworden sind – in Mikrostrukturen oder auf virtuellen Pfaden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß wir das Know-How, was hinter diesen Dingen steckt, nicht oder nie mehr brauchen werden.

 

Und das gepresste Porzellan steht ja hier nur exemplarisch für ganz andere Techniken – ob industrielle oder handwerkliche – die durch technische Entwicklung und Strukturwandel abgelöst werden. Also: Hut ab und Augen auf!

 

Welche Potentiale stecken in diesen Technologien? Mal abgesehen von den HighTech-Anwendungen der hochfesten und hoch wärmebeständigen, der aufgeschäumten und metallversetzten Keramiken heutiger Bauart?

 

Die Möglichkeiten an diesem Standort sind aufgegeben worden, bevor wirklich herausgefunden werden konnte, was damit noch anzustellen wäre. Alle Formen verschrottet, die Menschen abgewickelt und verstreut, das produktive und kreative Vermögen also nicht mehr existent. Aber wie findet man das heraus , wenn nicht das dominierende wirtschaftliche, Markt-analytische, rationionalisierende Denken durch kreative, experimentelle erprobende Strategien begleitet werden. Wie ist LowTech und HighTech miteinander zu verknüpfen? Wie sind Standorte miteinander zu vernetzen? Wer kann da überhaupt etwas initiieren?

 

Ich nenne das, was da fehlt, Forschung und Entwicklung. Und die gehört scheinbnar nur zur Industrie oder zu Instituten. Im betrieblichen Alltag, in den Produktionsstätten der kleineren Strukturen findet sie kaum statt: Business as usual. Ich will die neuen Wege der Schlüsseltechnologien, die ja häufig auch in kleinen Strukturen sich ausbreiten, davon ausnehmen.

 

Dabei steht doch zum Beispiel der Handwerker mitten im Labor. Es ist die Kopfbewegung, die eine Werkstatt zum Labor macht. Das Material ist da, die Maschinen sind da, die Werkzeuge und eigentlich auch das Know-how. Also: Hut ab, Augen auf und ärmel hoch – wenn ich das so salopp sagen darf.

 

Als Designer kann ich neue Kooperationen initiieren – Kurzschlüsse herstellen. Quasi als Nomaden können sie die Sesshaften – die Produktionsstätten nämlich – miteinander verbinden: Mit Produktideen, mit Produktkonzeptionen, die sich dann lokal, vielleicht auch dezentral, flexibel und bei Bedarf realisieren lassen. Das bestehende Know-How jedenfalls, die vorhandene Technologie und die laufende Maschinerie, kann viel intensiver genutzt werden – in einer Art Gleichzeitigkeit, die in anderen Märkten – zum Beispiel in den Geld- und Nachrichtenbörsen – längst existiert. Die Technik für diese Vernetzung, das Internet, erlebt schwunghaftes Wachstum. Und die Zeit für diese temporären, paralellen, sich selbst organisierenden Kooperationen, ist längst reif. Aber es sind wiederum nur die Institute und großen Betriebe, die ihre Informationen darüber austauschen. Und natürlich die Surfer, die sich in Chats treffen, verabreden und ihre Groups bilden. Warum nur die? Warum nicht die kleinen Strukturen? Warum nicht die Handwerker um die Ecke?

 

Ich arbeite zur Zeit an einem Forschungsprojekt, das zu einer Art Marktplatz oder Börse im Internet für Materialien und ihre Verarbeitung führen soll. Gemeint ist nicht eine Riesen-Datenbank, die schnell einstauben würde, sondern eine Schnittstelle, die mit geeigneten Navigationshilfen und brauchbaren Filtern akutes, praxisnahes Suchen und Anbieten ermöglicht. Also etwa so: Wer kann was? Wer macht was? Wer liefert was? Wer hat noch Kapazitäten? Welches Werkzeug ist gerade frei? Wer will mit aufspringen? Und so weiter. Mit dem Fingerabdruck meines benötigten Aluminium-Profils – beispielsweise – kann ich gleiche oder ähnliche Profile finden und einmal hergestelltes Presswerkzeug mehrfach ausnutzen. Oder Gleichgesinnte finden, mit denen es sich gemeinsam finanzieren läßt. Mit dem Mouse-Click auf einem Farbmuster kann ich ablesen, ob oder wann das entsprechende Material mit der entsprechenden Farbe produziert wird oder meinen Bedarf anmelden. Ich werde nicht der Einzige bleiben. Das gute alte Schwarze Brett!

 

Eine solche virtuelle Börse verbindet Industrie und Kleinstrukturen. Die Industrie liefert Material, Halbzeug und Komponenten. Ihr Standardangebot kann bei Sammelbestellungen um gerade diejenigen Spezialitäten erweitert werden, für die ohne Vernetzung einfach nicht genügend Volumen zur sinnvollen Produktion vorhanden wäre. Die Kleinstrukturen verarbeiten dann lokal, bei Bedarf und können im digitalen Verbund und auch durch digitale Steuerung – ich nenne das Stichwort CAM – kostengünstig auch Kleinserien realisieren.

 

Ich glaube, daß es den kleinen Strukturen – wie den Handwerksbetrieben , den Manufakturen, den Technofakturen – gelingen kann, auch als regionale Erzeuger neue Wege zu gehen. Daß sie ihre Rolle als Erzeuger ganz neu definieren müssen: Eigenprodukte anbieten und austauschen, die sich aus den lokalen Voraussetzungen einerseits und den Vernetzungen und dem Verbund andererseits entwickeln lassen. Produkte, die durch intelligent konzipierte, sinnvolle Arbeitsprozesse und dem Einsatz geeigneter Materialien ein angemessenes Preis/Leistungsverhältnis erzielen können. Doch müssen auch neue und alte Wege des Vertriebs und des Verkaufs gefunden werden. Direkt müssen die Wege sein und kurz: die regionale Kollektion, die lebendige Kommunikation, der Verkauf ab Werk, der lokale Service, um nur einige Stichworte zu nennen.

 

Ich will mit meinem Plädoyer für die Wiederbelebung der Kooperation mit kleinen Strukturen kein Allheilmittel sehen. Entgegen steht dem scheinbar ein gnadenloser, globaler Wettbewerb. über das Internet wird sich bald jeder durch entsprechende Suchmaschinen das gewünschte Produkt vom günstigsten Anbieter weltweit ins Haus kommen lassen können. Die Folgen für relativ teure Standorte – und dort eben für nicht automatisierbare Produktionsweisen – sehen dann ganz düster aus. Es wird sehr viel über die Rettungswege in Richtung Dienstleistungen gesprochen. Auch wenn’s dort sicherlich viel zu tun und zu holen gibt – kann das nicht der einzige Weg sein, nämlich Konversion von Produktion zur Dienstleistung zu betreiben.

 

Um Ressourcen und Potentiale neu zu beleben, bedarf es einer radikalen öffnung. Nur vernetzt, nur in Kooperation, haben die einzelnen, bisher isolierten Standorte eine Chance. Die Bereitschaft zum Experiment, zum Verrücken alter Standpunkte, eingefahrener Herstellungsabläufe, angestammter Auftragserledigung setzt eben auch Risiko und Vision voraus. Das Sesshafte selbst muß sich neu definieren. Es kann sich nicht weiter in einer Art Burg verschanzen. Netzwerken heißt: seine Position ständig neu zu definieren. Heute Chef sein, Auftraggeber und Initiator und morgen Auftragnehmer oder einfach nur Zuflieferer.

 

Die Qualität – und Sie werden sich vielleicht wundern, warum ich hier als Designer nicht so viel über das Formale spreche, sondern eher über das, was hinter den Formen steht: die Strukturen, die Konzeptionen, die Prozesse, um überhaupt etwas gestalten und auf den Weg zu bringen zu können. Und nicht abhängig zu sein von einem Auftraggeber, der bei mir anklopft und mich ‚brieft‘, sondern selbständig tätig zu werden – trotzdem will ich zur Qualität etwas sagen: Die Qualität muß aus jeder Arbeit neu ausgelotet und neu entwickelt werden, von mir und von den Beteiligten. Und das ist dann eine neue Gestalt. Da kann es keine formalen Rezepte und Vorgaben geben. Und wenn ich über das Arbeiten in Netzwerken spreche- heißt das allerdings nicht, daß dann im Internet designt wird und was als bunte Bilder übrigbleibt, das soll es dann gewesen sein.

 

Sondern das Internet sehe ich als Kommunikationsstruktur und als Anbieten und Suchen, als die Möglichkeit, mich über meine Reichweite hinaus zu bewegen und mich zusammenzuschließen. Optimal ist – um noch einmal auf die Gestalt zurückzukommen – wenn die Arbeit dann so aussieht, wie die Leute, die sie machen, wie die Orte, an denen sie entsteht. Was klar ist: die Designer müssen aus ihren Büros raus. Sie müssen tief in die Kontexte eindringen, vor Ort laborieren, kooperieren und anstecken. Das war eigentlich das, was ich jetzt erstmal mit den Bildern sagen wollte.

 

Zwischenfrage aus dem Publikum nach dem Museum in Eisfeld.

 

Kufus: Das ist im südlichen Thüringer Wald, in der Nähe von Sonneberg. Eine Region berühmt für Kleinindustrie, vor allem vor dem Krieg und schon im letzten Jahrhundert: Keramik, Spielzeug und Puppen, Feinmechanik. Also die typischen Produkte, die man da macht, wo der Boden nicht fruchtbar ist. Und Heimarbeit über die weitversprengten Dörfer mit ihren langen Wintern verteilen kann, eben kein Standort für große Fabriken… Aber mit damals gut organisiertem Export in die ganze Welt.

 

Das Museum dokumentiert diese Geschichte. Der Museumsleiter ist ganz hellhörig geworden, als ich so begeistert war über den Fund. Das war dem garnicht bewußt. Es gab in seiner Ausstellung nur eine einzige Tafel, der Rest war eben verdreckt und vergessen. Wir haben das mit den Studenten zunächst geborgen, nach Weimar gebracht, zweit Tage vorsichtig gereinigt und dann fotografiert. Ich fürchte, daß sie wieder auf dem Dachboden gelandet sind. Ich hatte diesen Schatz schon ein Jahr. Und ich hab’s noch nie irgendwo gezeigt. Jetzt dachte ich, dass Rotis der Ort wäre, über solche Ressourcen, die ich auch hier wirklich nur beispielhaft zeigen will, zu sprechen.

 

Frage aus dem Publikum nach der Firma.

 

Kufus: Diese Firma hat in den letzten Jahren dreimal den Namen gewechselt- sie wurde im Subventionsdschungel herumgereicht wie ein heißes Eisen. Ehemals hieß sie Kloster Veilsdorf. Es gab in dieser Region mehrere keramische Fabriken. Deren Press-Verfahren ist ja anders als bei gegossenem Porzellan. Es wird nämlich relativ trockene Substanz mit einem gewissen Petroleumgehalt gefügig gemacht und in Formen gepresst. Dadurch entfallen die langen Trockenzeiten – wie bei Porzellan, das in Gipsformen gegossen wird, die dann das Wasser rausziehen, wobei es jedoch zu hohen Schwundmaßen kommt, ganz ungeeignet für technische Artikel wie Fassungen mit Schraubgewinden oder ähnlich komplexe Formen. Der Pressdruck ist längst nicht so hoch wie beim Kunststoff-Spritzguß. Und die Werkzeuge müssen auch nicht temperiert werden. Eine eher archaische Form des Pressens. Und was die Moment herstellen, sind zum Beispiel Katalysatorenfilter. Extrudierte Würste mit hochfein struckturiertem Querschitt, die dann abgelängt, gebrannt und an anderen Standorten beschichtet werden, reine Zulieferteile für die Industrie.

 

Bis auf einige wenige Werkzeuge für Kleinteile -Sicherungskörper, Pfeifenfilter etc.- ist der ganze Fundus an Werkzeugen verschrottet worden. Und das gilt hier exemplarisch ja nur für eine Fabrik, für einen Standort. Natürlich stellte sich die Frage, was man mit dem ‚Zeug‘ machen sollte. Die zu schnelle Antwort war: Alteisen versilbern. Waren wirklich alle Potentiale ausgereizt, die in dieser Technologie stecken? Welche Produktqualität läßt sich mit technischer Keramik heute erzeugen. Lassen sich den Plastikwelten nicht wieder Anteile abjagen? Das sehe ich nicht aus modischen, sondern auch auch aus ökologischen Gesichtspunkten. Heute ist ja die Brenndauer der öfen so ausgeklügelt, daß Sie mit einem Bruchteil des Energieaufwands diese Keramik brennen können. Und damit langlebige Produkte erhalten.

 

Frage aus dem Publikum: Ist Euch mit den Studenten als Gestalter gelungen, aus dieser Ressource was Neues zu machen,sie neu zu verwerten. Und anschließend die Frage: Wäre das eine Aufgabe, eine neue Aufgabe für Gestalter, mit solchen Ressourcen erweitert umzugehen?

 

Kufus: Nein und Ja, dazu wollte ich jetzt kommen. Mit dieser Technologie konnten wir noch kein Projekt starten. Der Firma stand das Wasser bis zum Hals. Niemand dort wußte, wie es morgen weitergeht. Da gab es wie auch bei manch anderen Exkursionen keine Aussicht auf den Start einer Kooperation. Aber das war ja nur eine von vielen Exkursionen zu verschiedensten Firmen. Zunächst mußten wir uns auf ganz einfach herzustellende Produkte konzentrieren, die jetzt als ‚Weimar Design Souvenir ’99-Kollektion‘ von der Kulturstadt verkauft werden: JWG-Schnuller aus Kautschuk, ‚Kulturbeutel‘ aus Waschlappen, ‚Gretchens Zöpfe‘ aus Hefe, um nur drei zu nennen. Ich wollte das technische Porzellan auch nur exemplarisch zeigen. Es wäre natürlich wunderbar gewesen, wenn ich Ihnen jetzt zehn Produkte in dieser Technologie hätte vorstellen können, aber so weit bin ich und sind wir noch gar nicht. Wir haben erst begonnen.